Was, die sind alle nicht kastriert…..ja, geht das denn überhaupt?

Diesen Artikel hat Nelly auf unserer Homepage gelesen und mich gebeten, ihn hier mal einzustellen, was ich natürlich gerne mache.

Was, die sind alle nicht kastriert……….ja, geht das denn überhaupt?

So oder ähnlich formuliert, begegnet uns diese Frage sehr häufig im Alltag mit unseren drei Rüden. Natürlich bleibe ich meinem Gegenüber meistens  keine Antwort schuldig, nur wundert es mich, dass immer noch viele Leute glauben, eine Kastration müsse einfach sein. Quasi ohne WENN und ABER.

Aus diesem Grund möchte ich das folgende Interwiew der Community Stadthunde.com einfach mal hier einstellen.

Hunde-Kastration

Interview mit Dr. Udo Gansloßer zum Thema Hundekastration

Seinen Hund kastrieren zu lassen ist eine alltägliche Sache in Tierarzt-Praxen. Trotzdem sollten sich Hundehalter darüber bewusst sein, dass sie einen schweren und folgeschweren Eingriff in Körper und Leben ihres Hundes durchführen lassen. Wir haben mit dem bekannten Experten PD Dr. Udo Gansloßer über das Thema Kastration gesprochen. Dr. Gansloßer ist nicht nur Hundefreunden durch seine bundesweiten, beliebten Seminare und Vorträge längst ein Begriff, sondern auch Autor verschiedener Fachbücher, Verhaltensbiologe und Privatdozent am zoologischen Institut der Universität Greifswald. In seinen Seminaren setzt er sich u.a. auch mit der Auswirkungen von Kastrationen auseinander.

Stadthunde.com: Sehr geehrter Herr Dr. Gansloßer, seinen Hund kastrieren zu lassen, gehört oft zum Standard für Hundehalter und Tierarzt. Ist die Kastration ein Muss oder sollte die Einzelfallentscheidung immer kritisch hinterfragt werden?

Es ist unumgänglich, dass die Kastrationsentscheidung eine Einzelfallentscheidung sein muss, die nach Abwägung aller wichtigen Vor- und möglichen Nachteile gefällt werden sollte, möglichst unter Heranziehung der Meinung mindestens eines zweiten Tierarztes/Tierärztin (also nicht desjenigen, der/die die Operation durchführt), sowie eines kompetenten Hundeführers/in, der/die den Hund auch in den angeblich kritischen beziehungsweise problematischen Situationen erlebt hat. Eine Pauschalkastration ist sowohl aus tierschützerischen wie aus verhaltensbiologischen Gründen abzulehnen.

Kastration bei Hunden mit Jagdtrieb und dominantem Verhalten?

Stadthunde.com: Ein typisches Beispiel: Ein Hundetrainer rät den Jungrüden-Besitzern, ihren Hund kastrieren zu lassen, da er zur „Dominanz“ neigt, in manchen Situationen aggressives Verhalten zeigt und außerdem jagdlich sehr ambitioniert ist. Ist eine solche Kastration tatsächlich angemessen oder womöglich sogar kontraproduktiv?

Zunächst sollte man den betreffenden Hundebesitzern raten, sehr schnell den Trainer zu wechseln, und dem Trainer sollte man raten, den Beruf zu wechseln, da er offensichtlich mit einer ganzen Reihe von Fakten nicht wirklich klar kommt. Erstens gibt es keine Dominanz, es sei denn als Beziehung, es muss also festgelegt sein, über wen dieser Hunde dominant wäre, er kann nicht einfach nur zur Dominanz neigen.

Jagdliches Verhalten hat im günstigsten Falle überhaupt nichts mit Kastration zu tun, es gibt sogar Fälle von besonders jagdlich motivierten Hunden aus Arbeitslinien, die nach der Kastration, da sie nun nichts anderes mehr im Kopf haben, noch mehr zur Jagd neigen. Und in Bezug auf die Aggression ist zunächst festzustellen, in welchen Situationen es sich um Aggression handelt, da beispielsweise Selbstverteidigungs- gleich Angstaggression hier überhaupt nichts mit den Sexualhormonen zu tun hat.

Kastration bei Hündin zur gesundheitlichen Absicherung?

Stadthunde.com: Als Argument für die Kastration der Hündin wird oftmals die Vorbeugung gegen Gesäuge- und Gebärmutterkrebs genannt. Inwiefern ist die Kastration der Hündin tatsächlich eine gesundheitliche Absicherung?

Eine gesundheitliche Absicherung der Hündin durch Kastration ist auch nach neueren veterinärmedizinischen Erkenntnissen nicht das Mittel der Wahl. Insbesondere in Bezug auf Gesäugetumoren sind andere Risikofaktoren, nämlich beispielsweise Fehlernährung (zu eiweißreich, und insgesamt Überernährung und Fettleibigkeit) im ersten Lebensjahr, sowie mehrfache chemische Läufigkeitsunterdrückung, als Risikofaktoren wesentlich höher einzuschätzen, und haben die eigentliche statistische Aussagekraft für eine mögliche Tumorbildung.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die häufig angeführten Studien verschweigen, von welcher Grundgesamtheit ausgehen, da beispielsweise eine solche Tumorproblematik bei Hündinnen nur bei zwei bis acht Prozent, je nach Altersklasse, aller unkastrierten Hündinnen jeweils auftreten würden.

Stadthunde.com: Was geschieht nach der Kastration mit dem Hormonhaushalt des Hundes und inwieweit kann das zu psychischen und physischen Veränderungen führen?

Der Hormonhaushalt wird in Bezug auf die Sexualhormone völlig verändert, und die unterschiedlichsten Wirkungen auf die Spiegel des Stresshormons Cortisol können nur nach Betracht der Einzelpersönlichkeit des Hundes abgeschätzt werden. Angstaggressive beziehungsweise allgemein unsichere und verängstigte Rüden sowie Hündinnen mit ohnehin hohem Testosteronspiegel (also solche, die sich sehr rüpelhaft benehmen oder beim Markieren das Beinchen heben) neigen dazu, diese Probleme nach der Kastration zu verschlimmern.

Außerdem ist bei Rüden mit Muskelabbau und Schwäche des Bindegewebes und bei Hündinnen mit Mineralstoffwechselstörungen bis hin zu Knochenveränderungen zu rechnen.

Weiter ungeklärt: Riechen kastrierte Rüden weiblich?

Stadthunde.com: Inwiefern riechen kastrierte Rüden tatsächlich „weiblich“ und ist das der Grunde dafür, dass viele intakte Rüden aufreiten oder starkes Dominanzverhalten an den Tag legen?

Ob kastrierte Rüden wirklich weiblich riechen, ist noch nicht eindeutig geklärt. Jedoch kann das Aufreit- oder Dominanzverhalten von intakten Rüden auch durch das plötzlich verunsicherte und wesentlich weniger selbstbewusste Auftreten des kastrierten Rüden ausgelöst werden. Hier sind weitere Studien dringend von Nöten.

Stadthunde.com: Welche Gründe würden Ihrer Ansicht nach zwingend für eine Kastration im Einzelfall sprechen?

Eine Kastration aus medizinischer Sicht wird hier nicht diskutiert. Aus verhaltensbiologischer Sicht ist eine Kastration bei einem echt hypersexualisierten beziehungsweise ausgesprochen status- und rangaggressiven Rüden zu überlegen, eventuell bei einer Hündin, die nur um den Zeitpunkt der Läufigkeit herum aggressiv ist, und eventuell bei einer ängstlichen beziehungsweise angstaggressiven Hündin. In allen Fällen sollte jedoch eine chemische Kastration als Probelauf bei jeglichen verhaltensbiologischen Kastrationsüberlegungen vorgeschaltet sein.

Stadthunde.com: In welchem Alter sollten Kastrationen vorgenommen werden?

Die Frage nach einem optimalen Kastrationsalter kann ganz einfach beantwortet werden: Da von vorbeugenden Kastrationen grundsätzlich abzuraten ist, sollte man kastrieren, wenn ein Problem auftritt, das tatsächlich nach kompetenter Meinung durch Kastration verbessert werden könnte, und wenn diese Entscheidung noch durch die chemischen Probeläufe vorher abgesichert wurde.

Operative Kastration oder chemische Kastration bei Hunden?

Stadthunde.com: Zur operativen Kastration gibt es chemische Alternativen, die u.a. dazu verwendet werden, aus zu testen, ob mit einer Kastration die gewünschte Verhaltensänderung eintreten wird. Inwieweit sind Hormonbehandlungen sinnvolle Alternativen oder ermöglichen zuverlässige Prognosen?

Es gibt eine sinnvolle Methode der chemischen Kastration, die bei Rüden mittlerweile auch zugelassen ist, bei Hündinnen in der Zulassungsphase sich befindet, nämlich die sogenannte GnRH Down Regulation. Diese Hormonbehandlung ermöglicht eine nach derzeitigem Kenntnisstand zuverlässige Prognose der späteren Verhaltensänderungen ohne bisher bekannte Nebenwirkungen.

Stadthunde.com: Tierschützer weisen immer wieder auf den ethischen Aspekt von Kastrationen hin. Wie beurteilen Sie die Tierschutzrelevanz von Kastrationen, und worauf ist bei tierschutzbedingten Kastrationen besonders zu achten?

Es geht nicht nur um den ethischen Aspekt der Kastration. Kastrationen sind ohne veterinärmedizinische und verhaltenstherapeutische Einzelindikation in jedem Falle ein Verstoß gegen das Amputationsverbot des Paragraphen sechs, und in vielen Fällen (zum Beispiel Kastration ängstlicher beziehungsweise angstaggressiver Rüden), die als veterinärmedizinische Kunstfehler auch so thematisiert werden, zusätzlich ein Verstoß gegen Paragraph zwei, da diesen Tieren unnötige Leiden und Schäden zugefügt werden.

Insofern ist eine Kastration aus Tierschutzgründen absolut nicht zu befürworten. Wenn es um die Fortpflanzungsunterdrückung geht, ist die Sterilisation anzuraten, die Pauschalkastrationen von Hunden in Tierheimen sind ebenso tierschutzwidrig wie solche Maßnahmen auf Wunsch einzelner Hundehalter auch.

Stadthunde.com: Wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!

 

2 Kommentare zu Was, die sind alle nicht kastriert…..ja, geht das denn überhaupt?

  1. Dass nicht jeder Hund kastriert werden muss, ist tatsächlich manchmal schwer in die Köpfe hinein zu kriegen. Teilweise wird man ja sogar mit bösen Blicken bestraft, wenn jemandem auffällt, dass da ja noch zwei Eier hängen und der zugehörige Rüde interessiert an Artgenossen schnuppert. Den Vogel aber schoss eine Dame ab, die ich im vergangenen Jahr auf der großen Houndshow in Hannover traf. Mein Beaglerüde Beethoven schnüffelte interessiert an ihrer Mischlingshündin. Die kleine Hündin war läufig, weshalb Beethoven charmant mit ihr flirtete. Mit ersterem hatte ich zugegebenermaßen nicht so ganz gerechnet – wer geht schon mit einer läufigen Hündin auf eine solche Massenveranstaltung?
    Die Frau hingegen war über die Avancen meines Rüdens schier empört. Mit großen Augen fragte sie: “Ist der etwa nicht kastriert?!
    Na ja, es ist ja aber auch wirklich ein Ding der Unmöglichkeit auf einer Zuchthundeausstellung einen potenten Rüden zu treffen. Genauso guthätte sie fragen können: “Ja, wie, der Zuchtbulle hat seine Eier noch?”

    Noch ein Wort zur chemischen Kastration
    Ich werde wohl nie verstehen, warum die Überzeugung, Kastration wäre das Allheilmittel gegen jedes Verhaltensproblem, so verbreitet ist. Ich selbst habe meinen Rüden Anfang des Jahres chemisch kastrieren lassen. Mit großem Unbehagen, war ich doch nie ein großer Freund der Kastration eines gesunden Hundes. Es handelte sich vielmehr um “Notwehr”, weil ich wegen eines Wasserschadens aus meiner Wohnung musste und daher mein Büro (Synergieeffekte nutzend) in mein altes Kinderzimmer bei meinen Eltern verlegt habe. Dort saß mein kleiner potenter Rüde dann zwischen fünf Zuchthündinnen, von denen ja eigentlich immer eine “besonders lecker” riecht.
    Um die große Läufigkeitphase zu überbrücken, ließ ich ihm vom Tierarzt ein kleines Hormonimplantat setzen (chem. Kastration, wie oben beschrieben). Die Sache ging schnell und einfach, fast schmerzfrei per Spritze über die Bühne.

    Die folgenden Wochen waren großartig. Beethoven war so schmusig und anhänglich wie noch nie. Rüden, die er zuvor nicht ausstehen konnte, beachtete er gar nicht mehr. Er war viel entspannter, lieber – wie weichgespühlt. Sein Interesse für Hündinnen schwand zunehmenst und er hatte viel mehr Zeit für andere Dinge.

    Dieser Zustand hielt knapp drei Wochen, bevor er in zunehmende Unsicherheit wechselte. Mein liebenswerter, selbstbewusster, muskelbepackter Macho verwandelte sich in einen angstaggressiven Weichling. Hatten wir zuvor nur Probleme mit einzelnen sehr maskulinen großen Rüden auf unseren Spaziergängen, so wurde jetzt jeder Ausgang zum Spießrutenlauf. Beethoven ging im Zweifel erstmal wahllos auf alles los, was uns entgegen kam. Jeder Blick wurde sofort als Angriff bewertet und provozierte damit einen lautstarken Gegenangriff von Beethoven – ganz gleich ob klein, groß, hell, dunkel, Rüde oder Hündin, potent oder kastriert. Beethoven wurde steif vor Panik und wollte sich alles und jeden vom Leib halten. Der Abstand konnte gar nicht groß genug sein. Die Hunde, deren Nähe er überhaupt noch ertragen konnte, waren an einer Hand abzuzählen. Mit seinen besten Kumpels vertrug er sich nicht mehr. Auf seinem Hoch wollte er sogar seine kleine Schwester Finja verprügeln, damit sie ihm nicht zu nahe kam.

    Nach gut einem halben Jahr, lässt die Wirkung des Implantats nun allmälich nach. Endlich! Beethoven wird langsam wieder verträglicher und dank hartem Training kann er sich immer besser im Zaum halten. Ich hoffe, er wird wieder ganz der alte. Und damit meine ich nicht nur, dass seine Hoden und Muskeln wachsen und sein Fell wieder schön wird. Vor allem wünsche ich mir meinen charmanten Macho zurück, der Hündinnen umgarnt, großen Rüden imponiert und mit seinen Kumpels tollt, statt stets steifbeinig mit Bürste durch die Welt zu laufen.
    Eins weiß ich jedoch ganz sicher: Kastration, ob chemisch oder operativ, für meinen Hund nie wieder!

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